Pferde, die sich nicht wohl fühlen, sind weniger leistungsbereit und -fähig – und lassen auch an Ausdruck vermissen. Schuld daran sind meist Fehler in der Ausbildung. Wir haben Profis nach den sieben Todsünden in der Pferdeausbildung gefragt.
Ungeduld
Reitmeister Hans Max-Theurer setzt den zu frühen Beginn der Ausbildung in seinem Ranking der schlimmsten Ausbildungssünden an die Spitze. Nicht nur er: Viele Pferde, so Horst Karsten, ehemaliger Bundestrainer der österreichischen Vielseitigkeitsreiter, sind schlicht zu jung. Und anstatt sie vorwärts-abwärts in die Tiefe zu reiten, beginnt man schon bald nach dem Anreiten das Pferd aufzurichten. Sei es, um es für eine Auktion fit zu machen oder um den Ansprüchen des Besitzers gerecht zu werden, der möglichst rasch Erfolg sehen und herzeigen will. Gerade das Vielseitigkeitspferd braucht Zeit, um sein Gleichgewicht zu finden. Darum fängt Karsten lieber mit Vierjährigen als mit Dreijährigen an. Ihre ersten Prüfungen sollen sie dann mit fünf Jahren gehen. Im Gelände ist es überlebenswichtig, dass der Pferderücken locker ist und es seinen Hals zum Ausbalancieren einsetzt. „Aber auch der Freizeitreiter veranstaltet viel Unfug mit Vierjährigen“, so Karsten über jene, die dem Turniersport mit scheelem Blick begegnen. Und für die so genannten „Naturtalente“, Dressurpferde, denen überdurchschnittliche Grundgangarten, Takt und Haltung in die Wiege gelegt scheinen, fordert der Ausbilder ebenfalls Pausen, in denen die Pferde immer wieder zur Ruhe kommen.
„In den ersten zwei bis drei Jahren braucht das Pferd viel Zeit, der Pferdekörper muss systematisch aufgebaut werden“, bekräftig Klaus Balkenhol. Der deutsche Reitmeister räumt dem Wissen um den Pferdekörper einen besonders hohen Stellenwert ein.
Unrast
Auch eine zu schnelle Ausbildung bleibt nur bei wenigen Pferden ohne negative Folgen. Ein Schritt nach vorne kann ganz schnell zwei Schritte zurück nach sich ziehen, beispielsweise wenn das Pferd immer wieder an den Rand der Erschöpfung geritten wird. Was physisch nicht zu bewältigen ist, hat meist auch unmittelbare psychische Folgen. Permanente Überforderung nimmt dem Pferd jegliche Motivation. Wer hier die Sprache des Pferdes nicht versteht, hat in der Ausbildung nichts zu suchen. Fehler sind zwar erlaubt und nur allzu menschlich, aber der Reiter muss ständig bereit sein, sich selbst zu hinterfragen. Gerade im Reitsport sind Selbstzweifel durchaus angebracht. Das weiß auch Isabell Werth: „Es ist wichtig, sich auch immer wieder mit Trainern und anderen Ausbildern auszutauschen.“ Die Bereitschaft zur Selbstkritik zeichnet den guten Reiter aus. Denn der Mensch versagt immer wieder. „Man darf sich dabei nur nicht aus der Bahn werfen lassen und muß peau-a-peau-Schritte setzen“, so Werth.
„Die funktionelle Anatomie des Pferdes nicht zu kennen, ist ein grober Fehler”, postuliert Balkenhol. Nur wer über den Pferdekörper Bescheid weiß, beharrt er, kann Fehler in der Ausbildung vermeiden. Es gehört eine ordentliche Portion Selbstdisziplin dazu, um ein begabtes Pferd nicht zu überfordern. Und ebensoviel Wissen, um die Grenzen eines Pferdes zu erkennen. Klaus Balkenhol hält viel beachtete Kurse, in denen er den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Körperbau des Pferdes und seinen sportlichen Möglichkeiten erklärt.
In dieselbe Kerbe schlägt auch Isabell Werth: „ Man kann aus einem Trabbi nun mal keinen Porsche machen und genauso wenig kann man gegen mangelndes Talent und körperliche (Un-)Möglichkeiten anreiten.“ Die langfristige Überforderung des Pferdes wirkt sich in ihren Augen besonders schlimm aus. Sei es, weil Kraft und Substanz des Pferdes zu hoch eingeschätzt werden oder dessen Leistungsfähigkeit. Sie fordert von Ausbildern eine gesunde Beurteilung der Fähigkeiten eines Pferdes. Jeder Reiter sollte sich Gedanken darüber machen, wie belastbar sein Pferd allein aufgrund seiner körperlichen Eigenschaften ist.
Disziplinlosigkeit
Neben Selbstkritik fordert Klaus Balkenhol ein gesundes Maß an Selbstdisziplin vom Reiter. Ein Mangel an Selbstdisziplin führt häufig zu ungerechtem Abstrafen, was wiederum das Pferd verängstigt. Für Isabell Werth ist das Verängstigen eines jungen Pferdes Ausbildungssünde Nummer eins: „Gegen Angst kann man nicht anreiten.“ Sie unterscheidet zwischen Pferden, die von Haus aus ängstlich sind und deren Vertrauen sich sehr wohl gewinnen lässt, und zwischen ängstlich gemachten Pferden, bei denen sich die Angst vor dem Reiter schlimmstenfalls nie mehr ganz legt. Das Verängstigen des Pferdes geht meist mit der bereits erwähnten Sünde der Ungeduld des Reiters einher.
Natürlich ist das Phlegma der Pferde unterschiedlich, aber es bedarf einiger Erfahrung um zwischen nicht wollen und nicht können zu unterscheiden. Und grundsätzlich ist es so, dass das Pferd willig ist. Meist versteht es den Reiter falsch, und der ist in der Regel selber schuld daran. Mit Lob lässt sich viel mehr erreichen und es wird viel zu selten gegeben, bedauert der renommierte Ausbilder Hans Max-Theurer. Dafür wird oft ungerecht bestraft, beispielsweise wenn der Reiter zornig ist und seine Hilflosigkeit am Pferd auslässt.
Unerfahrenheit
Bekannt ist, auf ein unerfahrenes Pferd gehört ein erfahrener Reiter. Das muss aber nicht zwingend ein „Profi“ sein. Gerade besonders erfahrene Ausbilder sind oft bereits in einem Alter, in dem sie nicht mehr auf jungen Rabauken sitzen wollen. Oder sie haben wenig Zeit, um sich mit dem jungen Pferd lang „zu spielen“. Zeitmangel geht meist auf Kosten der Aufwärm- und Ausklangphase, die Hans Max-Theurer als besonders wichtig erachtet. Es ist nur allzu logisch, dass dem Pferd während seiner Grundausbildung besonders viel Zeit zum Lösen eingeräumt werden muss. Und ebenso ist das Abgehen, das Ausklingen lassen der Arbeit, wichtig, um das Pferd mental ausgeglichen in seine Box zu bringen.
Darum ist der geschickte Freizeit- oder Turnierreiter oft eine recht gute Besetzung im Sattel eines jungen Pferdes. Wer gut reitet und sattelfest ist, sich entsprechende Gedanken zur Ausbildung macht und im Idealfall regelmäßig mit einem Trainer zusammen arbeitet, kann durchaus in der Lage sein, ein Pferd bis zur Klasse A oder L oder höher auszubilden. Das bestätigt auch Arthur Kottas-Heldenberg: „Ein routinierter Reiter mit genügend Pferdeverstand kann durchaus in der Lage sein, ein Pferd auszubilden.“ Und er gibt noch einen Tipp mit auf den Ausbildungsweg: „Was du in einem Jahr nicht willst, das lasse deinem Pferd auch jetzt nicht angehen.“
Nachlässigkeit
Nicht zu unterschätzen sind die kleinen Fehler und Nachlässigkeiten, bei denen sich der Reiter denkt „einmal wird schon nicht schaden“. Manche dieser Sünden können schwerwiegende gesundheitliche Probleme mit sich bringen, wie Dr. Georg Hladik bestätigt. Gerade zu Beginn der Ausbildung wird der Beschlag oft vernachlässigt, Wolfszähne und Zahnhaken sind auch schon beim jungen Pferd vorhanden und stoßen an die Trense. Da das Pferd noch wächst, investiert der Reiter nur ungern Geld in einen passenden Sattel, was zu ernsthaften Rückenproblemen führen kann.
Apropos Rücken, auch das Aufsitzen ohne Hilfe sollte man unterlassen. Entweder verrutscht der Sattel, was den Rücken unnötig belastet oder der Gurt ist gedankenlos zu festgezurrt worden. Der rücksichtsvolle Reiter führt sein Pferd erst ein paar Schritte bevor er den Gurt nachzieht und erspart seinem Pferd die einseitige Belastung beim Aufsitzen ohne Aufsteighilfe.
Aber auch gut gemeint kann falsch sein. Beispielsweise wenn das Pferd zuviel Kraftfutter erhält, weil der Reiter meint, nun braucht es ja besonders viel Kraft. Gerade beim Anreiten ist es besser verhalten zu füttern und mit dem Temperament klarzukommen als ständig das Tempo zu drosseln und dabei zu stark und zu oft mit der Hand einzuwirken. Im schlimmsten Fall schüchtert das Pferd den Reiter ein. Und Angst des Reiters kann fatale Folgen in der weiteren Ausbildung haben.
Gedankenlosigkeit
Selbst seriöse Bereiter landen bisweilen in Sackgassen. Eine davon ist der Schlaufzügel. Das vermeintlich bequeme Hilfsmittel ist vielen jedoch ein Dorn im Auge. Auch Hans Max-Theurer: „Wenn er spannt, bringt er die Pferde auf die Vorhand und lässt einen Unterhals entstehen. Wenn er durchhängt, braucht man ihn sowieso nicht, und er ist dadurch überflüssig!!!“
Eine Unsitte ist es auch ohne Unterlass an Lektionen zu feilen, bei denen das Pferd sich schwer tut. Wer – im Sinne des Wortes – ständig auf den Schwächen seines Pferdes herumreitet, nimmt sich und dem Pferd die Möglichkeit, sich über dessen Stärken zu freuen. Stolz stärkt – und bringt vielleicht eine Extraportion Ausdruck, der die Richter beim nächsten Turnier über kleinere Mängel hinwegsehen lässt.
Ausbildung hat nichts mit Abrichten zu tun. Zwar sollte jedes Pferd die Anforderungen der Skala der Ausbildung erfüllen, aber bekanntlich führen viele Wege zum Erfolg. Und was dem einen Pferd liegt, kommt beim nächsten vielleicht gar nicht so gut an. Darum ist die individuelle Ausbildung überaus wichtig. Schließlich soll das Pferd nicht nur seine Arbeit tun, sondern auch Spaß dabei haben.
Andrea Kerssenbrock