Wer schon mal eines meiner Theorieseminare besucht hat, kennt die kleine Vorstellungsrunde mit den Teilnehmern und weiß, dass ich anschließend gerne eine Diskussion zu den „Ethischen Grundsätzen des Pferdefreundes“ anrege. Einige Reiter und Pferdemenschen kennen diese gar nicht – viele haben sie im Rahmen eines Abzeichenlehrganges mal auswendig gelernt. Intuitiv würde aber jeder meiner Seminar- Teilnehmer und auch jeder Leser dieses Artikels von sich behaupten, mit seinem „Partner“ Pferd nach den ethischen Grundsätzen umzugehen. Nur zur Erinnerung: Grundsatz 1 lautet „Wer auch immer sich mit dem Pferd beschäftigt, übernimmt die Verantwortung für das ihm anvertraute Lebewesen.“ In der Runde folgt dann immer allgemeines Kopfnicken; keine Frage – alle kümmern sich rührend und teilweise aufopferungsvoll um ihr Pferd/Pony. Der letzte Cent wird in feines Müsli, den Osteopathen, den Hufschmied oder Barhufpfleger gesteckt. Einmal im Jahr werden die Zähne gemacht, es werden Futteranalysen und Kotanalysen in Auftrag gegeben, Fellanalyse auch gerne gesehen, Blutproben gezogen. Der Sattler kommt, der Verladetrainer kommt, der Mentalcoach kommt…. Nicht zu vergessen der rege Austausch mit anderen Pferdeleuten im Stall mit immer wieder neuen Tipps und Ideen, was man sonst noch so für das Wohlergehen seines besten „Freundes Pferd“ machen könne. Das alles machen wir gerne, denn schließlich LIEBEN wir unser Pferd.
Auf den Kursen frage ich dann gerne etwas provokativ: Warum reitet Ihr bzw. warum habt ihr ein Pferd? Weil es Spass macht; weil es so ein erhebendes Gefühl ist auf einem so stolzen Wesen zu sitzen und der Wind in den Haaren….; weil Pferde so lieb und sanft sind und ich mich bei Ihnen so wohl und geborgen fühle; wenn ich bei meinem Pferd bin, entspanne ich mich sofort – ich kriege den Kopf frei, alle Müdigkeit ist verflogen… Einige Mutige sind dabei, die zugeben, auch den sportlichen Aspekt des „Aneinandermessens“ zu schätzen. Noch nie hat jemand gesagt: Mein Pferd freut sich so darauf geritten zu werden… Um das klar zu stellen: Ich reite auch, weil es MIR Spass macht und auch ich bin gerne mit Pferden zusammen, weil sie MIR ein gutes Gefühl geben. Die Pferde bedienen also unser EGO und Reiten ist ganz klar eine egoistische Tätigkeit.
Eine schöne Definition von „Liebe“ lautet: „Liebe ist zu geben, ohne darauf zu hoffen, etwas dafür zu bekommen.“ An diese Stelle kurz mal den Satz sacken lassen und sich fragen, ob Pferde unsere Liebe eigentlich wollen.
Nach dem Theorieteil mit häufig sehr kontroversen Diskussionen über „Nase vor an hinter der Senkrechten“, „am hinter über dem Zügel“, “ Anlehnung ja nein weiß nicht“ und „Spannungsbogen – das unbekannte Wesen“ folgt der praktische Part mit individuellem Reitunterricht. Auf meine Frage, was ich für die Pferd/Reiterkonstellation tun könne, folgen typischerweise Aussagen wie: Die Bella mag nicht links angaloppieren und außerdem reißt sie den Kopf immer so hoch – und wenn das auf dem Turnier: der Supergau. Oder: Der Ferdi springt den Wechsel nach rechts immer nach und wird dann auch so schnell. Oder: Bei den Traversalen geht die Liesl gegen den Schenkel und verwirft sich im Genick….. usw.usw. Meine Aufgabe als Reitlehrer ist es nach Ansicht vieler Reitschüler dem Pferd dieses „unerwünschte Verhalten“ auszutreiben/abzugewöhnen/unangenehm zu machen. Der Reiter wünscht sich von dem Pferd, dass es diese Dinge nicht mehr tun möge und er wünscht sich von seinem Reitlehrer ein „Werkzeug“ oder eine Art Bedienungsanleitung dazu – letztlich natürlich nicht weil er sein Pferd knebeln möchte, sondern weil er sich dadurch mehr Harmonie erhofft.
Glaubt mir – so funktioniert das nicht!!! Auch wenn in Reitschulen, Ausbildungsbetrieben reitweisenübergreifend vielfach genau das gemacht wird und erschütternder Weise auch zum Teil nicht unerhebliche Turniererfolge auf eher abgerichteten Kreaturen erritten werden – solange nur der Egoismus des Reiters im Fokus steht und keine Auseinandersetzung mit dem Lebewesen Pferd in pferdegerechter Weise stattfindet, handelt der Reiter nicht nach den ethischen Grundsätzen. Und die „Bodenarbeiter“, die stolz sind, wenn das Pferd ihnen nach läuft, sich auf Zuruf im Kreis dreht und rückwärts geht oder sich ohne mit der Wimper bzw. dem Ohr zu zucken mit einem großen Gymnastikball bewerfen läßt (so gesehen auf der Hippologica in Berlin mit Mega- Szenenapplaus und zahllosen Messekunden, die sich dann auch ein Stöckchen und Bänzelchen gekauft haben) – das ist keine Tierliebe und keine Pferdeerziehung, das ist ein Abrichten von Zombies und ein Grund sich zum Schämen in die Ecke zu stellen.
Also die Frage muß lauten: Wie muß ich mein Pferd und mich bearbeiten, damit das Pferd meinen Egoismus (denn nichts anderes ist das Reiten) ohne Schaden zu nehmen erträgt. Um diese Frage zu beantworten, ist es unerlässlich sich theoretisches Wissen anzueignen. Ich muß wissen, wie ein gesundes Pferd aussieht, wie sich ein gesundes Pferd bewegt, wie ein Pferd sich ausdrückt. Ich muß in der Lage sein, mich und meine Wünsche/Vorstellungen zurückzunehmen, um kritisch in der Betrachtung meines Pferdes sein zu können. Hinterfragt Euch, ob bestimmte Verhaltensweisen Eurer Pferde gottgegeben sind oder einen Misstand zum Ausdruck bringen (Warum wird beim Angaloppieren der Kopf hochgenommen; Warum wird mein Pferd eilig, wenn es einen Wechsel springen soll; Warum hat mein Pferd bei jeder Seitwärtsbewegung Probleme den Takt zu halten usw. usw.).
Was seht Ihr, wenn Ihr Euer Pferd anseht und was fühlt Ihr, wenn Ihr auf seinem Rücken sitzt? Hier ist „Passivität die Aktivität“ – man muß erst einmal wahrnehmen lernen was IST, bevor man agiert um etwas zu verändern. Das Spannende am zunehmenden Wissen ist die darauf folgende Erkenntnis, dass man noch zu wenig weiß. Jeder neue Aspekt öffnet wieder Türen durch die man durchgehen kann, wenn man sich traut. Und auch Fehler dürfen gemacht werden – wichtig ist, dass wir jeden Tag bereit sind, uns in Demut zu üben und unser Tun zu überdenken: „Wenn Dein Pferd etwas falsch macht, dann überlege was Du falsch gemacht hast. Fällt Dir nichts ein, so denke intensiver nach“.
Die Idee „Wie ich Dir, so Du mir“ funktioniert bei Pferden nicht. Pferde sind im Hier und Jetzt, Pferde sind auch Egoisten und benötigen kompetente Führung um sich wohl zu fühlen. Pferde sind nicht bestechlich und auch nicht manipulativ -außerdem lesen sie den Menschen besser als uns manchmal lieb ist. Dem Himmel sei Dank sind Pferde auch selten nachtragend – eine Eigenschaft, die uns sehr, sehr dankbar machen sollte! Ein ausbildend tätiger Reiter sollte in der Lage sein, emotionslos und ohne Erwartungen sein Pferd auf sich zu fokussieren; er muß es so trainieren, das es rittig und durchlässig wird. Auf den „Goodwill“ des Pferdes zu hoffen und Konflikten stetig aus dem Wege zu gehen, um das Pferd bloß nicht zu hart anzufassen ist ebenso wenig pferdegerecht, wie das aggressive Bemühen um „Lektionen“ auf einem ganz und gar verspannten und ungleichmäßig laufendem Pferd.
Also, „Entschleunigung“ ist angesagt; nehmt Euch die Zeit, den Pferden zuzuhören, einfach mal nur beobachten ohne Einfluss nehmen zu wollen. Beobachtet auch Euch selbst einmal im Umgang mit dem Pferd, Eure Ungeduld, Inkonsequenz, Planlosigkeit, vorgetäuschte Souveränität. Akzeptiert zuweilen auch, dass man hier und da limitiert ist und holt euch kompetente Hilfe. Baut Euer Selbstbewußtsein nicht an den Unzulänglichkeiten und Fehlern anderer auf, sondern orientiert Euch an den Positivbeispielen, die hier und da im großen Sport und auch im heimischen Stall zu entdecken sind. Kleiner Tipp: Zufriedene Pferde sind selbstbewußt, wach, neugierig, auch mal keck und eigentlich leicht zu erkennen, wenn man mit dem Herzen sieht und sich nicht von „weltlichem“ Schnick- schnack ablenken lässt. Angelegte Ohren, zugedrehte Hinterteile in der Box und auch dieser so häufige tote Blick durch Dich hindurch oder an Dir vorbei sind Zeichen, dass sich etwas ändern muss!!
Nehmt gute altmodische und trotzdem hochaktuelle Reitlehren in die Hand (Von Ziegner, Podhajsky, Buerger, Steinbrecht – kleine Auswahl von leicht nach schwer), belest Euch intensiv und stellt Euren Reitlehrern Fragen, Fragen, Fragen! Jederzeit kann man mich ansprechen oder mit Pferd vorbeikommen – ich freue mich über Jeden, der Sehen und Fühlen lernen oder auch einfach nur mit mir diskutieren möchte!!
„All you need is love“ ist ein guter Beatles-Song – auf die Beziehung zu unseren Pferden trifft er aber sicher nicht zu – was es hier braucht ist WISSEN!!!
Alles Liebe (für uns Menschen unverzichtbar) Euer Jörg