Rund um die Pferdefütterung kursieren viele wohlgemeinte Tipps und Meinungen. Dr. Stefanie Handl hat zehn vermeintliche Fütterungs-Weisheiten auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht. Hier das ernüchternde Ergebnis…
1. „Heu oder Weide alleine ist zu wenig, man braucht vielfältige Zusätze, um ein Pferd ausgewogen zu ernähren“
Der Markt bietet eine unüberschaubare Menge an Futtermischungen und Supplementen an und suggeriert PferdebesitzerInnen, dass ein Pferd ohne solche Zusätze nicht vollwertig ernährt werden könne. Dabei decken Heu oder Weidegras den Bedarf an fast allen Nährstoffen eines Pferdes im Erhaltungsbedarf und auch bei leichter Arbeit (Freizeitpferd, Schulpferd). Lediglich Natrium ist zu wenig enthalten – lässt sich aber einfach über einen Leckstein ergänzen. Zusätzlich empfehlen wir die Gabe eines Präparates zur Ergänzung von Vitaminen und Spurenelementen. Wird ein Mischfutter („Müsli“) gefüttert, enthält das in der Regel schon alle zusätzlich notwendigen Mineralstoffe, Vitamine und Spurenelemente, sodass keine weitere Ergänzung notwendig ist. Bei manchen Nährstoffen (z. B. Vitamin A, Selen) kann eine Überdosierung sogar gefährlich sein!
2. „Hafer macht Pferde verrückt“
„Den sticht der Hafer“ sagt ein altes Sprichwort, wenn ein Pferd allzu übermütig daherkommt. Deswegen ist er bei manchen PferdebesitzerInnen verpönt, stattdessen wird zu anderen Getreidesorten oder haferfreien Müslis gegriffen. Dabei ist Hafer nicht umsonst DAS traditionelle Kraftfutter: Hafer hat von allen Getreidesorten den höchsten Faseranteil, was das Kauen anregt und der Verdauung gut tut. Hafer hat außerdem die am besten verdauliche Stärke und kann deswegen im Ganzen verfüttert werden. Tatsache ist, dass viele Freizeitpferde einfach zu viel Energie gefüttert bekommen und gar kein Kraftfutter bräuchten, da sie ihren Energiebedarf über Heu oder Weide hinreichend decken könnten. Wenn allerdings Kraftfutter, dann ist Hafer immer noch erste Wahl.
3. „Sportpferde brauchen viel Eiweiß für die Muskulatur“
Der Eiweißbedarf eines arbeitenden Pferdes steigt an, da die Muskelmasse zunimmt und der Stoffwechsel vermehrt gefordert wird, außerdem geht Stickstoff über den Schweiß verloren. Allerdings wird der Eiweißbedarf auch eines Hochleistungssportlers über Heu + Kraftfutter sicher gedeckt. Eine zusätzliche Eiweißversorgung ist daher bei erwachsenen Pferden, die nicht zur Zucht genutzt werden, unnötig. Im Gegenteil – eine Überversorgung mit Eiweiß ist dem Leistungsvermögen eher abträglich, weil der Körper den überschüssigen Ammoniak ausscheiden muss.
4. „Pferde erkennen Giftpflanzen instinktiv und meiden sie“
Das stimmt mit Einschränkungen. Viele Giftpflanzen schützen sich nämlich zusätzlich mit bitterem Geschmack vor dem Gefressenwerden. In bestimmten Situationen aber, z. B. bei extremer Futterknappheit, fressen Pferde in ihrer Not auch übel schmeckende, potentiell giftige Pflanzen und Pflanzenteile. Außerdem werden in Gärten und Parks heute viele exotische Blumen und Sträucher gepflanzt, mit denen Pferde keine Erfahrung sammeln konnten.
Auch darf man sich nicht darauf verlassen, dass die Giftwirkung durch das Trocknen des Heus verloren geht – bei einigen besonders gefährlichen Giftpflanzen, wie z. B. der Herbstzeitlose, ist das nicht der Fall. Die einzige Möglichkeit, Pferde sicher vor Giftpflanzen zu schützen, ist die regelmäßige Kontrolle der Weide.
5. „Pferde überfressen sich, wenn sie uneingeschränkt Heu bekommen“
Jedes Lebewesen versucht, seinen Energiehaushalt im Gleichgewicht zu halten und passt sein Futteraufnahmeverhalten entsprechend seinem Bedarf bzw. der verfügbaren Futterqualität an. Vielfältige hormonelle und nervale Regulationsvorgänge sind daran beteiligt. Wird energiearmes Futter (älteres Weidegras, Heu) angeboten, funktionieren diese Regulationsmechanismen bei den meisten Pferden sehr gut. Die Haltung auf der Weide oder mit dauerndem Zugang zu Heu entspricht den physiologischen Bedürfnissen am besten. BesitzerInnen von Ponys und anderen Robustrassen werden hier widersprechen und erklären, dass ihre Pferde selbst auf der Weide zunehmen. Diese Tiere sind offenbar an noch energieärmeres Futter adaptiert, bzw. kommen aus Gegenden, wo sich üppige Vegetation im Sommer mit kargen Wintern (und dadurch Hungerperioden) abgewechselt haben. Bei diesen Tieren sind die internen Regulationsmechanismen mit dem Futterangebot in unseren Breitengraden offenbar überfordert. Bei diesen Pferden – und nur bei diesen – muss das Futterangebot entsprechend limitiert werden.
6. „Wenn Stroh nur als Einstreu verwendet wird, ist die Qualität egal“
Das ist definitiv falsch. Wenn Pferde auf Stroh eingestellt werden, werden sie immer auch davon fressen – die einen mehr, die andern weniger. Vor allem wenn wenig kaufähiges Raufutter (Heu!) zur Verfügung steht, nehmen die Pferde auch verdorbenes Stroh auf, was zu schweren Verdauungsstörungen führen kann. Bei schimmelpilzbefallenem Stroh besteht das Risiko von Mykosen (Besiedelung verschiedener Organe mit Pilzen) oder Mykotoxikosen (Vergiftung mit Schimmelpilzgiften). Schimmelsporen belasten außerdem die Atemwege und können allergische Reaktionen auslösen. Wir raten daher dringend, auch zu Einstreuzwecken nur qualitativ einwandfreies Stroh zu verwenden.
7. „Fohlen sollen möglichst schnell wachsen und brauchen viel Kraftfutter“
Selbstverständlich haben Fohlen einen höheren Energie- und Nährstoffbedarf als ausgewachsene Pferde. Deswegen müssen sie entsprechende Mengen an Kraftfutter und/oder Ergänzungsfutter für Fohlen bekommen. Eine zu intensive Fütterung und daher ein zu schnelles Wachstum sind jedoch unbedingt zu vermeiden, da es zu Entwicklungsstörungen des Skeletts (Osteochondrose) kommen kann.
8. „Silage führt zu Übersäuerung“
Der Körper des Pferdes regelt seinen Säure-Basen-Haushalt innerhalb von engen Grenzen. Verantwortlich dafür sind in erster Linie Lungen und Nieren. Eine längerfristige „Übersäuerung“ kann bei chronischen Erkrankungen auftreten. Der pH-Wert in Blut oder Muskulatur steht allerdings in keinem Zusammenhang zum pH-Wert des Futters. Silage und Heulage (Grassilage mit hohem Trockensubstanzgehalt) sind eine bekömmliche, gut verdauliche Alternative zu Heu, sofern auf einwandfreie Qualität geachtet wird.
9. „Knoblauch ist gesund und wirkt gegen Parasiten“
Wie aktuelle wissenschaftliche Studien bestätigen, kann Knoblauch auch in Mengen, die Pferde freiwillig fressen, die roten Blutkörperchen massiv schädigen und eine Anämie auslösen.
Ein gesundheitsfördernde oder antiparasitische Wirkung von Knoblauch beim Pferd konnte bisher nicht bewiesen werden. Auch wenn viele Zusatzfuttermittel auf dem Markt sind, die Knoblauch in niedrigen Mengen beinhalten und verschiedene Wirkungen versprechen, raten wir von der Verfütterung von Knoblauch ab.
10. „Viele Krankheiten können mit Kräutern statt mit teuren Medikamenten behandelt werden“
Kräuter werden in zunehmendem Maße in Zusatzfuttermitteln für Pferde eingesetzt. Beworben werden sie mit diversen gesundheitsfördernden Wirkungen, die aus der Human- und Volksmedizin bekannt sind. Über viele der auf dem Markt befindlichen Kräutermischungen gibt es allerdings keine wissenschaftlichen Studien über ihre genaue Wirkung am Pferd. In Kombinationspräparaten ist die Dosis jedes einzelnen Krautes oft zu gering, um überhaupt eine Wirkung haben zu können. PferdebesitzerInnen, die sich für Phytotherapie interessieren, wenden sich am besten an eine Tierärztin/einen Tierarzt, die/der sich darauf spezialisiert hat.
Dr. Stefanie Handl ist Fachtierärztin für Ernährung und Diätetik, Diplomate ECVCN und hat jahrelang Erfahrung in der Ernährungsberatung im Rahmen ihrer Tätigkeit an der Vetmeduni Wien.
Das ist ja mal ein informativer, sorgfältig mit Liebe zum Detail geschriebener Artikel. Vielen Dank! 🙂